Wer Venedig in den Wintermonaten besucht, muss die Lagunenstadt nicht mit Tausenden von Touristen teilen und entdeckt dadurch erst noch die wirklich schönen Ecken.
Was für ein gutes Gefühl, wenn die Menschen einem am Bahnhof Santa Luzia entgegen strömen. Das heisst nämlich, dass sie abreisen. So unklug ist es nicht, nach den Feiertagen nach Venedig zu reisen. Spätestens nach dem Dreikönigstag beginnt der grosse Exodus. Nun, ganz leer ist die Lagunenstadt natürlich auch nachher nicht. Aber die Quote, tatsächlich den Venezianern zu begegnen, erhöht sich beträchtlich. Vor allem, wenn man die Hauptroute Richtung Rialto und San Marco verlässt.
Wir haben uns im Venice Times Hotel einquartiert, einem schmucken, modernen 4-Sterne-Haus gleich hinter dem Bahnhof. Eine ideale Ausgangslage in alle Richtungen, aber insbesondere ins Quartier Cannaregio, das mit seinen vielen kleinen Restaurants und speziellen Geschäften lockt. Dass wir hier tatsächlich auf viele Einheimische stossen, belegt die Tatsache, dass sich etwa am Fondamenta di Cannaregio offensichtlich die lokale Hundemeile befindet. Doch die Venezianer haben ihre Lieblinge gut im Griff – in jeglicher Hinsicht. Wir flanieren weiter über unzählige Brücken und Gässchen bis zum Fondamento delli Ormesini und geniessen einen unglaublich guten (und äusserst günstigen, 0.90 Euro) Espresso im Torrefazione (ehemals Marchi, Caffè della Sposa). In dieser von jungen Leuten geführte Kaffeerösterei in der Nähe des Campo del Ghetto Nuovo kann man sich gleich mit frisch geröstetem Kaffee für zu Hause eindecken. Nur ein paar Häuser weiter an der Fondamenta de la Misericordia liegt das Vino Vero, einer Weinbar mit hipper Athmosphäre.
Das Licht ist spektakulär in dieser Jahreszeit. Sobald aber die Sonne untergeht, wird es schnell kalt. Die Feuchtigkeit kriecht durch noch so wärmehaltendes Gewebe. Und so langsam sind wir auch hungrig. Da unsere Wunschrestaurants gerade geschlossen haben, gehen wir zur Fondamenta Pescheria, wo wir auf gut Glück die Trattoria alla fontana aufsuchen. Das kleine Restaurant wird mit viel Herzblut geführt und war ein Glückstreffer. Die Vorspeise, eine Suppe mit Bacalá, mundet vorzüglich. Und auch die hausgemachten Tagliatelle mit Radicchi sind köstlich.
Neben den vielen Vorteilen, in der absoluten Nebensaison Venedig zu besuchen, gibt es leider auch einen kleinen Nachteil: Viele Restaurants sind in den ersten Januartagen geschlossen (und leider auch viele Museen). So rennen wir doch tatsächlich beim Café Florian auf San Marco an. Natürlich mögen wir den Angestellten dieser venezianischen Institution ein paar freie Tage gönnen, trotzdem war die Enttäuschung gross. Zu gerne hätten wir in einer der Nischen einen Espresso genossen. Stattdessen landen wir – wie bei jedem Venedig-Besuch – in Harry’s Bar am San Marco. Nun, schon Ernest Hemingway wusste, weshalb er hier regelmässig einkehrte. Der Service ist wirklich ausgezeichnet, das Essen immer köstlich – und die Bellinis sowieso. Praktisch, dass hier auch gleich eine Vaporetto-Station liegt.
Schon der Schriftsteller Ernest Hemingway kehrte hier gerne ein (Bild: Silvia Schaub).
Apropos Vaporettos: Natürlich sind 20 Euro für eine 24-Stunden-Karte viel. Aber es lohnt sich trotzdem eine zu kaufen und dann gemütlich in alle Richtungen zu schaukeln oder auch mal Umwege zu nehmen, die man zu Fuss nie an einem Tag schaffen würde. Zum Gehen kommt man ohnehin auch sonst noch genug. So fahren wir mal aussen herum vom Bahnhof Richtung Arsenale und sehen die Giudecca von der hinteren Seite. Besonders eindrücklich bei Sonnenuntergang.
Oder statt nach Murano fahren wir nur bis San Michele auf die Insel der Toten und betreiben etwas Sightseeing. Klingt vielleicht etwas makaber, aber es liegen dort tatsächlich ein paar Berühmtheiten wie etwa der russische Komponist Igor Strawinsky, der amerikanische Dichter Ezra Pound oder der russisch-amerikanische Literaturnobelpreisträger Joseph Brodsky. Sie starben allerdings nicht in Venedig, sondern liessen sich für die letzte Ruhe nach San Michele überführen, so gross muss ihre Sehnsucht nach der Lagunenstadt gewesen sein.
Die Friedhofsinsel bietet auch eine architektonische Attraktion: Das Londoner Architekturbüro von David Chipperfield baute hier mit anthrazitfarbenen Platten aus Basalt den «Corte dei quattro Evangelisti», der aus vier nach den Evangelisten benannten Kolumbariumshöfen besteht. Kalt und abweisend wirkt der Erweiterungsbau auf den ersten Blick, das nur von vier hohen Durchlässen durchbrochen ist, sorgt aber gerade dadurch für die gewünschte Intimität.
Friedhof auf San Michele (Bild: Silvia Schaub).
David Chipperfields “Corte dei quattro Evangelisti” (Bild: Silvia Schaub).
Nur eine Vaporetto-Station weiter sind wir wieder auf dem Festland. Wir springen an der Fondamenta Nuove vom Schiff und wundern uns über die Horde von Paparazzis am Rio del Gesulti. Etwas gelangweilt stehen sie dort, Zigaretten rauchend, aber immer bereit, bei der nächsten durchfahrenden Gondel abdrücken zu können. Leider haben wir nicht herausgefunden, auf wen sie warten.
Beim Campo della Pescheria: Durchblick zum Canal Grande (Bild: Silvia Schaub).
Wir aber haben anderes vor und suchen den direkten Weg Richtung Rialto. Unser Ziel ist der Campo della Pescharia. Selbst im Winter ist der Mercato an der Erberia offen, wenn auch nicht mit einer gigantischen Auswahl. Wir entdecken die Radiccio, die wir am Abend zuvor in einer köstlichen Tagliatelle in der Trattoria della fontana gegessen hatten. Und da sind auch noch Castraure, eine Art Mini-Artischocken, die uns unbekannt sind. Wenn wir schon in dieser Gegend sind, schauen wir natürlich auch in der Casa del Parmigiano vorbei, das Reich von Daniele Conte inmitten von köstlichem Parmigiano, Pecorino und Mozzarella di bufala. Nur einen Sprung entfernt liegt die Antica Trattoria Posteveche am San Polo. Wir lassen uns mit einer Frittura mista und Fegato Veneziana verwöhnen, nachdem uns der Kellner einen Prosecco (auf Kosten des Hauses) kredenzt hat.
Frischer Radiccio auf dem Mercato an der Erberia (Bild: Silvia Schaub).
Ein letztes Mal zieht es uns zum San Marco und zur Ponte dei Sospiri (Seufzerbrücke). So allein wie diesmal werden wir diese Sehenswürdigkeiten wohl kaum mehr geniessen können. Selbst die Händler an der Flaniermeile klappen ihre Karbäuschen schon runter – nicht nur weil sie kalte Hände haben.
Abendstimmung mit Blick auf die Giudecca (Bild: Silvia Schaub).
Anreise
Mit der SBB direkt ab Zürich in 6,5 Stunden.
Übernachten
Venice Times Hotel, modernes ruhig gelegenes Hotel nahe Bahnhof s. Lucia, ab Fr. 90.-, Hotel Danieli, Riva degli Schiavoni, ab Fr. 314.-.
Essen
Trattoria alla Fontana, Fondamenta Cannaregio; Antica Trattoria Posteveche, Calle de le Beccarie, Rialto Mercato; Harry’s Bar, Calle Vallaresso.