Brig oder Domodossola? Beide Städtchen locken mit einer lieblichen Altstadt. Brig kann mit seiner Geschichte rund um Kaspar Jodok von Stockalper punkten, Domodossola mit südlichem Flair.
Es gibt Orte, die man meist nur aus dem Zugfenster kennt: Olten, Winterthur, Thun – oder Brig. Die herbstlich gefärbten Blätter scheinen sich zu freuen, dass wir für einmal genau diesen Ort zu unserem Ziel erklären. Freudig tanzen sie bei unserer Ankunft um die Wette, wirbeln über die Promenade vom Bahnhof in die Altstadt, als wollten sie uns den Weg weisen und rufen: Seht her, auch wir sind ein schmuckes Städtchen und haben erst noch ein Hotel zu bieten, wo es sich abzusteigen lohnt. Dieses liegt direkt am lebendigen Sebastiansplatz. Und ganz mondän nennt es sich noch dazu Hotel de Londres. Mit gutem Grund, schliesslich soll der Name an die Zeit erinnern, als die Bergwelt durch die Engländer Ende des 19. Jahrhunderts erobert wurde, aber auch als Hommage an den Gründer des Hotels, Anton Arnold, der viele Jahre in London in der Hotellerie tätig war.
Das widerspiegelt sich auch im Interieur, das mit viel Fingerspitzengefühl vom Innenarchitektur-Büro Atelier Zürich umgesetzt wurde. Englische Stilelemente der Belle-Epoque wie etwa die schwarzen Fliessen in der „Wohnstuba“, die nostalgischen Armaturen im Bad oder die very britishen Tapeten in der Gäste-Toilette werden aufgemischt mit einer Prise „Wallis“ – mit Farben und Formen wie die geometrischen Muster aus lokalen Malereien und Handwerk an Fassade, Böden oder an den Kopfenden der Betten. Das kann man gewagt finden. Uns jedenfalls gefällt’s. Wie übrigens auch die Duz-Kultur, die man im Hause führt.
Das Wahrzeichen der Stadt: der Stockalper-Palast (Bild: Brig Simplon Tourismus).
Bei der Ankunft wird man nicht an einer anonymen Reception abgefertigt, sondern setzt sich mit Clelia oder Valentina an einen der gemütlichen Tische in der Wohnstuba, dem Herzstück des kleinen Hotels, und wird in die Gepflogenheiten des Hauses eingeführt. In diesem Raum wird ein- und ausgecheckt, gefrühstückt und das Gute-Nacht-Bier genossen, relaxt oder mit den anderen Gästen geplaudert. Und man fühlt sich sogleich wie „Zuhause bei Freunden“, wie es uns schon auf der Homepage angekündigt wurde.
Zwei Suiten (unter dem Dach) und 16 Zimmer bietet das 130 Jahre alte Hotel, das erst vor ein paar Jahren nach einer umfassenden Renovation wieder eröffnet wurde. Die normalen Zimmer sind eher klein, auf das Nötigste reduziert und von puristischem Stil mit ausgewählten Designer-Leuchten und Beistellmöbel. Mehr braucht es auch nicht, wenn man nur eine oder zwei Nächte absteigt. Der Blick vom Zimmer aus geht auf den Sebastiansplatz, an dem jeweils der Markt stattfindet. Geschlafen haben wir übrigens tatsächlich wie ein Murmeltier, das mit einer Krone geschmückt das Logo des Hotels abgibt. Der Höhepunkt aber ist das Frühstücksbuffet: An der Honesty-Bar bedient man sich vom köstlichen Roggenbrot, den hausgemachten Konfitüren, dem regionalen Käse und Fleischwaren oder geniesst die frisch zubereiteten Pancakes und Bacon & Eggs.
Mitten in der Altstadt: das Hotel de Londre (Bild: Hotel de Londre).
Und was unternimmt man in Brig? Man flaniert durch die Altstadt, schmökert in der grossartigen Buchhandlung Zur alten Post, findet ein Geschenk im Blumenladen Le Ballon an der Bahnhofstrasse und kauft im Pipistrelli an der Furkastrasse fürs Gottenkind eine Kleinigkeit. Und besucht natürlich das Wahrzeichen Brigs: den Stockalperpalast aus dem 17. Jahrhundert. Kaspar Jodok von Stockalper musste zur damaligen Zeit so etwas wie der Donald Trump des Wallis gewesen sein, ein ziemlich gewiefter Geschäftsmann. Zu Geld kam er mit allerlei Handel – mit Lärchenharz, Zunderschwämmen, Schnecken und vor allem Salz. Er sicherte sich aber auch das Monopol über den Warentransport über den Simplonpass. Und so wurde er zum reichsten Mann weit und breit, um dessen Gunst selbst Könige, Kaiser und der Papst buhlten. Doch irgendwann wurde es seinen Feinden zu bunt, die ihm ankreideten, sich auf Kosten des Volkes bereichert zu haben. Stockalper musste nach Domodossola fliehen und kehrte erst später – völlig verarmt – wieder nach Brig zurück.
Da wollen wir auch hin. Zuerst muss man aber 20 Kilometer Dunkelheit über sich ergehen lassen, bevor man südliche Luft schnuppern kann. Doch eigentlich fühlt es sich wie ein Katzensprung an, wenn man von Brig aus mit dem Zug durch den Simplontunnel in das Städtchen mit dem verheissungsvollen Namen Domodossola fährt. Eine liebliche Schönheit ist die Provinzstadt nicht unbedingt, eher eine Bähnlerstadt mit unendlich vielen Geleiseanlagen. Umgeben von bewaldeten Hängen und mit Blick auf die Walliser Viertausender liegt Domodossola im Herzen des Ossola-Tales am Fluss Fiume Toce. Vor allem samstags lockt es Scharen von Schweizerinnen und Schweizer an, die auf dem grossen Markt auf Schnäppchenjagd sind. An den ausladenden Ständen mit Käse und Fleischwaren von den umliegenden Alpen läuft einem schon beim Betrachten das Wasser im Mund zusammen.
Auf der Piazza del Mercato in Domodossola ist immer viel Betrieb (Bild: Domodossola Turismo).
Diesem Gewusel entziehen wir uns gezielt und fahren deshalb an einem ganz normalen Dienstag in den Süden. Wir streben vom Bahnhof durch die Corso Fratelli di Dio direkt in die beschauliche Altstadt mit den lauschigen Plätzchen und romantischen Gässchen. Hier ist er, der raue Charme des Städtchens: in die Jahre gekommene herrschaftliche Häuser stahlen mit bezaubernden Loggien und Balkonen. Nichts ist herausgepützelt und mag gerade deshalb so zu gefallen.
Die Altstadt von Domodossola bezaubert durch seine Patina (Bild: Domodossola Turismo).
An der Piazza del mercato setzen wir uns vor die Bar Bertani und geniessen einen Latte macchiato und ein Mineralwasser (für 2 Euro!). Stundenlang könnten wir dem regen Treiben zusehen und einen Hauch Italianità geniessen. Anschliessend flanieren wir in den Gässchen, entdecken die Piazza della Fontana mit dem Obeliskenbrunnen und bestaunen die Hauseingänge und Torbogen aus dunkeln und hellen Steinen sowie die alten, doppelstöckigen Balkone. Und sind froh, dass Domodossola nicht auf der Landkarte der grössten Sehenswürdigkeiten Italiens steht.
Anreise
Ab Zürich nach Brig mit dem Zug in 2 Stunden 8 Minuten, nach Domodossola in 2 Stunden 40 Minuten.
Übernachten
Hotel de Londres, Bahnhofstrasse 17, 3900 Brig, hotel-delondres.ch, Doppelzimmer ab Fr. 148.-
Essen
Walliserstuba, Bahnhofstrasse 9, Brig, feine Walliser Spezialitäten; Palazzo Patatüt, Furkastrasse 16, Naters, internationale Küche, aber auch Schweizer Spezialitäten.