Wer in den Bergen dem Rummel auf den Skipisten entfliehen will, findet Ruhe auf einsamen Schneeschuhpfaden. Langweilig ist das nicht, denn mittlerweile gibt es Trails für alle Stärkeklassen.
Das Gerangel beginnt spätestens in Chur. Horden von Skifahrern aus dem Mittelland entern die Züge und Postautos Richtung Berge, belegen mit ihrer Ausrüstung ganze Abteile, sodass kaum ein Durchkommen ist. Mit dem Ziel: Rauf auf die Berge und runter auf den Pisten. Wie angenehm ist es da, mit einem handlichen Rucksack und der Gewissheit im Gepäck zu reisen, dass man diesem Rummel bald entfliehen wird. Statt sich bei der Endstation nochmals in eine Gondel zu pressen und danach Schlange vor dem Sessellift zu stehen, steigen wir in Arosa in den leeren Bus nach Maran – und ziehen los. Auf Schneeschuhen.
Wie langweilig! Nein, ist es nicht. Das Wichtigste ist vielleicht auch das Schönste beim Schneeschuhwandern: Man stapft durch unberührte Landschaft, legt eigene Spuren oder folgt einem Pfad. Wir entdecken noch weitere Vorteile: Jeder bestimmt sein eigenes Tempo, je nach persönlicher Kondition. Schneeschuhwandern kann man bei jedem Wetter. Und: Den Marsch durch die Landschaft gibt es erst noch gratis und franko.
Durch die verschneite Landschaft in Arosa (Bild: Silvia Schaub).
Kein Wunder hat der Fitnessboom am Berg auch das Schneeschuhwandern erfasst und rückt die Aktivität in ein neues Licht. Galt es stets als etwas altbacken oder eben langweilig, ist es heute geradezu hipp, sich in den übergrossen Schuhen durch den Schnee zu pflügen. Wieso das Schneeschuhlaufen derzeit besonders gefragt ist, erklärt sich Peter Bruggmann, Präsident des Schweizer Sportfachhandels, wie folgt: «Der Wintersport ist vielseitiger und erreicht neue Zielgruppen, das Spektrum wird breiter. Besonders Schneeschuhwandern spricht sehr viele Leute an, da von leichten Schneespaziergängen bis zu strengen Touren alles möglich ist.»
Mit zum Boom in der Schweiz trägt wohl auch SchweizMobil bei. Das nationale Netzwerk für den Langsamverkehr hat seit einem Jahr auf ihrer Online-Plattform neben Sommeraktivitäten wie Wandern oder Mountainbiken auch den Winter ins Visier genommen und ein Netz von 3000 Routenkilometern mit Winterwander- und Schlittelwegen, Langlaufloipen und Schneeschuh-Trails aufgeschaltet. Das Gute daran: Es ist eine Art Best-of-Angebot der jeweiligen Region, die von den kantonalen Tourismusorganisationen und ihren Partnern ausgewählt wurden. «Die Trails sind sozusagen amtlich bewilligt», wie Lukas Stadtherr, Mitglied der Geschäftsleitung von SchweizMobil, betont. Das heisst, dass die Routen hinsichtlich Gefahren und Natur- sowie Wildschutz besonders sorgfältig ausgewählt wurden.
In Arosa findet man Schneeschuh-Trails für alle Stärkeklassen (Bild: Silvia Schaub).
Insgesamt findet man auf der Online-Plattform derzeit eine Auswahl von über 550 Winter-Angeboten – weitere kommen Winter für Winter hinzu. Ähnlich wie bei den Wanderland-Routen mit den gelben Wegweisern und hellgrünen Routenlogos sind auch die Winterangebote mit Wegweisern in den gewohnten quadratischen, nummerierten Routenfeldern gekennzeichnet; jede Mobilität hat ihre eigene Farbe. Dass es noch einige Lücken gibt, dessen ist man sich bewusst. Die Region um Gstaad oder das Engadin zwischen Samedan und Scuol etwa sind noch weisse Flecken in Sachen Schneeschuhwandern.
Auch nach Arosa reisen die meisten in erster Linie wegen der Skipisten an. Als Schneeschuhwanderparadies ist der Ort noch weitgehend unentdeckt. Dabei bietet die Region bereits vier Trails an – von einfach bis schwer. Wir treffen Martin Müller beim Gasthaus Maran und steigen in die Schneeschuhe, um den Prätschalp-Trail abzulaufen. Weil in den letzten Tagen viel Schnee gefallen ist, bindet uns der Guide zuvor noch ein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) um. «Bei viel Neuschnee gilt es, die Lawinengefahr gut im Auge zu behalten, auch wenn der Trail nicht durch lawinengefährdetes Gebiet führt», meint Müller.
Auf signalisierten Trails durch die Winterlandschaft (Bild: Silvia Schaub).
Natürlich könnten wir einfach irgendwo in den Bergen querfeldein losstapfen. Es hat aber durchaus Vorteile, auf einem signalisierten Trail von SchweizMobil zu laufen. Zu jeder Route bekommt man bekömmlich alle nötigen Infos präsentiert, auch auf einer kostenlosen App: technische Daten wie Höhenmeter, Länge oder Schwierigkeitsgrad, die Kartografie, Anreise, Links zu Fahrplänen und Schneebericht, Übernachtungsmöglichkeiten und dazu eine detaillierte Beschreibung samt Fotos. «Auf diesen Trails hat man die Gewähr, dass man sich nicht auf ein Risiko einlässt», erklärt Lukas Stadtherr.
Mit der Sonne im Gesicht folgen wir den pinken Wegweisern und sind schon bald fernab jeglicher Zivilisation. Die Schneekristalle glitzern und funkeln um die Wette. Eine meditative Ruhe umgibt uns, und im Nu fühlen wir uns entschleunigt und eins mit der Natur.
Nur ein paar Schritte braucht es, um sich bei Maran oberhalb von Arosa in eine schon fast meditative Stimmung zu versetzen. Fernab vom Rummel auf den Skipisten vom Hörnli bis zum Brüggerhorn herrscht auf dem Prätschalp-Schneeschuhtrail vor allem eines: Stille. Erst recht, wenn man schon ein Stück auf dem Schneeschuhpfad gestapft ist und durch den tiefverschneiten Wald streift. Da ist selbst das Fallen des Schnees von den Bäumen zu hören. Ein paar Höhenmeter weiter ist man wieder auf offenem Gelände, wo sich der Schnee wie ein Glitzerteppich vor einem ausbreitet. Nun hat man den Blick über das Schanfigg und in die Bergwelt von Arosa. Winzig klein erscheint der Weiler Medergen auf der anderen Talseite. Die unberührte Schneelandschaft lädt ein, auch mal den Pfad zu verlassen und eigene Spuren zu legen, etwa bei den kleinen Seelein vor dem Ober Prätschsee. Das ist zwar ziemlich anstrengend, aber auch lustig. Denn je nach Lage versinkt man fast einen Meter, dann wieder schreitet man – dort, wo der Wind alles abgetragen hat – nur über einen Hauch von Schnee. Nur muss man acht darauf geben, wo sich die Seelein unter der Schneedecke verstecken. Ganz allein ist man jedoch nicht, wie die Hirsch- und Hasenspuren verraten. Beim Ober Prätschsee hat man den höchsten Punkt erreicht. Dann heisst es nur noch geniessen: Der Pfad führt nun sanft bergab nach Maran.