Eisfischen auf dem Garichti-See ob Schwanden ist eine kalte Angelegenheit, die einem manchmal trotzdem zum Schwitzen bringt.
Kurvenreich windet sich die Strasse von Schwanden den Berg hinauf und wird immer schmäler, bis sie sozusagen im Niemandsland endet. Bahnchefin Iwona erwartet uns schon bei der Seilbahnstation in Kies. Sie bugsiert uns in die Gondel, schiebt die Sicherheitstür zu, drückt auf den Startknopf und sagt: «Um 17 Uhr bin ich wieder da, dann müsst ihr oben an der Bergstation bereitstehen». Zuvor hatte sie uns die Lizenz zum Fischen oder vielmehr das Patent ausgehändigt. Und schon entschweben wir mit der Mettmen-Luftseilbahn hinauf zum Garichtisee – in eine andere Welt. Dick vermummt stapfen wir ein paar Minuten durch den Schnee, vorbei am Berghotel. Wir kommen uns ein bisschen vor wie auf einer arktischen Expedition. Dann liegt er vor uns: der Stausee, idyllisch eingebettet zwischen Widerstein, Charenstock und Matzlenstock. Wir befinden uns im Gebiet Freiberg Kärpf, dem ältesten, über 450 Jahre alten Wildschutzgebiet Europas, das mehr als hundert Quadratkilometer gross ist.
Eisig kalt ist es auf dem Garichtistausee, zum Glück scheint anfangs noch die Sonne (Bild Silvia Schaub).
Unten im Tal war es neblig, hier oben nun empfängt uns eitler Sonnenschein. Damit hatten wir nun nicht gerechnet und uns mit Skihosen, Thermo-Unterwäsche und dicken Handschuhen eingekleidet. «Wartet nur, bis die Sonne wieder weg ist, dann wird es bitterkalt», versichert Florian Kundert. Der passionierte Fischer begleitet uns zu einem Abenteuer, das immer mehr Menschen im Winter auch bei Minustemperaturen auf die zugefrorenen Seen lockt: das Eisfischen. Kundert ist vollbepackt mit Schlitten, Bohrer und diversen Fischerruten.
Es ist Mitte Januar, der Schnee und die Kälte sind in diesem Jahr spät gekommen. Ob denn die Eisfläche genug dick ist, haben wir uns zuvor noch gefragt. «Alles kein Problem», meint der Glarner lachend und weist auf die zwei Fischer hin, die seit dem frühen Morgen ihr Glück beim Eisfischen versuchen. «Es wird auch bei uns halten», beruhigt er. Der Sport ist seit einigen Jahren auf diversen Schweizer Seen möglich, so auch auf dem Stausee Garichti. Das Eisfischen hat es jedoch in sich, ist es doch sozusagen die Multiplizierung des normalen Fischens. Denn auf Eis fischt man ins Blinde. «Du kannst nicht wissen, wo sich die Fische gerade befinden», erklärt der Sportanlagenfachmann und Präsident des kantonalen Fischereiverbandes. Ausser man kennt den See, wie Kundert, und weiss, wie der Untergrund beschaffen ist und wo sich die Namaycush (kanadische Seesaibling) und Regenbogenforellen gerne verstecken. «Im Winter sind sie träge und jagen nicht. Sie reagieren nur, wenn man ihnen die Made direkt vor den Mund hängt.» Dafür komme man an Plätze, die man im Sommer vom Land aus nicht befischen könne. Das ist zwar verlockend, hat aber auch seine Tücken, schliesslich steht auf dem Schild am Ufer des Stausees, dass man diesen auf eigene Gefahr betritt. Die Eisfischerei ist hier nur auf dem vorderen Seeteil erlaubt. Unser Guide weiss schon wieso: «Hinten befinden sich Abflüsse, die man im Winter nicht sieht.»
Dazwischen heisst es immer wieder geduldig warten (Bild Silvia Schaub).
Mit einem knirschenden Geräusch bohrt er das erste suppentellergrosse Loch. Noch eine Umdrehung, und der Bohrer ist durch. Gut 20 Zentimeter ist das Eis dick. Mit der Schöpfkelle befreit er es von den Eisflocken und hängt seine Felchenrute hinein. Nun bin ich an der Reihe und komme mächtig ins Schwitzen, bis das Loch endlich gebohrt ist. Schon nach einer Minute züpfelt es an der Rute meiner Begleitung. Er springt los – doch zu spät. Die Made ist weg. Und der Fisch auch. «Die Eisfischer in Kanada bleiben nie länger als ein paar Minuten an einem Loch sitzen», erklärt Florian Kundert. «Wenn sie nichts fangen, ziehen sie einfach weiter und bohren ein neues Loch.» Das machen auch wir so und drehen noch ein paar weitere Löcher. Eine ziemlich intensive Arbeit.
Dazwischen jedoch heisst es: warten. «Ihr müsst den Ruten hin und wieder äs züpfli gäh, damit das Loch nicht zufriert», instruiert der Fischer. Dazwischen bleibt genügend Zeit, um die wunderbare Bergwelt zu bestaunen. «Es ist vor allem die Ruhe, die mich am Eisfischen fasziniert. Am schönsten ist es frühmorgens, wenn ich ganz allein bin», erzählt Kundert, der den Garichtisee in- und auswendig kennt. «Ich wurde hier sogar getauft». Kein Wunder also besteht eine besondere Verbindung zwischen dem Mann und dem See. Beim Eisfischen müsse man sich bewusst sein, dass nicht der grosse Fang im Vordergrund stehe. «Manchmal kommt man auch ohne einen einzigen Fisch nach Hause.» Es ist das Erlebnis, das zählt.
Eislöcher bohren ist anstrengend und gibt warm (Bild Silvia Schaub).
Schon eine Stunde später verschwindet die Sonne hinter den eindrücklichen Bergspitzen der Glarner Alpen, sodass der schneebedeckte See alsbald im Schatten liegt. Die Kälte kriecht bald durch alle Kleiderschichten. Eine Möglichkeit, sich aufzuwärmen, gibt es nicht. Es ist Zwischensaison und das Berghotel leider geschlossen. Da heisst es, immer mal wieder ein neues Loch ins Eis drehen, um keine klammen Finger und Füsse zu bekommen.
Dann endlich, gerade als Kundert in sein Sandwich beisst, zuckt die Rute, die er in den Schnee gestellt hat. Er springt zum Loch und rollt behende den Silch ein. Gleichzeitig zuckt es auch im nächsten Loch. Beide Fischer ziehen kräftig – Kunderts Rute bricht, aber er zieht eine prächtige Regenbogenforelle aus dem Wasser. Und kurz darauf noch eine. Auch die Begleitung wird noch eine Seeforelle herausziehen. Nur ich gehe leer aus. Dafür bin ich um ein Abenteuer reicher – und warte, bis es endlich 17 Uhr ist und uns Iwona an der Seilbahnstation erwartet.
Eisfischen in der Schweiz
Auf diesen Schweizer Seen kann man Eisfischen: Arnensee, oberhalb Gsteig BE; Engstlensee, Engstlenalp BE; Hinterstockensee, oberhalb Erlenbach BE; Oeschinensee, oberhalb Kandersteg BE; Garichtisee, oberhalb Schwanden GL; Oberblegisee, oberhalb Luchsingen GL; Silsersee, zwischen Sils und Maloja GR; Melchsee, oberhalb Sarnen, OW; Tannensee, oberhalb Sarnen, OW; Seeblisee, Hoch Ybrig, SZ. Weitere Infos unter: www.icefishing.ch