Das einstige Skigebiet Pischa im Flüelatal hat sich neu erfunden – als alternativer Berg für Naturliebhaber und Erholungssuchende
Es ist eine ziemliche Operation, diese Felle perfekt auf die Skier zu bringen. Walter von Ballmoos, grossgewachsen und mit Vollbart, erklärt es nochmals genau: «Erst am Skispitz einhängen, dann runterziehen und gut andrücken, damit es keine Wellen gibt. Und nun die Felle hinten am Ski fixieren.» Ausserdem stehen wir am Hang ein Stück unterhalb der Bergstation Pischa und müssen schauen, dass wir das Gleichgewicht nicht verlieren. Da wird es einem selbst bei Minus 12 Grad ganz schön warm. Endlich kann es losgehen. «Schaut her», ruft der Bergführer. «Schön gleiten, nur die Ferse anheben und schieben. Immer ganz patgific, wir müssen ja nicht zum Nordpol.»
Vorsichtig machen wir die ersten Schritte auf den Tourenskis und sind ganz stolz, dass es so gut klappt. Schon bald haben wir die erste Kuppe geschafft. Selbst das Wenden im steilen Gelände geht ganz ordentlich. Es ist an diesem Wintermorgen ruhig am Berg. Die Sonne blinzelt zwischen den dichten Wolken hervor. Nur ein paar Winterwanderer stapfen auf dem präparierten Weg durch die Winterlandschaft und wundern sich wohl über das Grüppchen neben der Piste. Wir nehmen am Schnupper-Skitourenkurs teil, den die Bergführer Davos Klosters zwei Mal pro Woche auf der Pischa anbieten. Hier sei das Gelände perfekt, betont Walter von Ballmoos, Geschäfts- und Bergführer der Fullmoons GmbH. Der Davoser liebt diesen Berg, der in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geriet und deshalb gerne auch als «forgotten mountain» bezeichnet wird.
Relikt aus früheren Zeiten: Das Beobachtungshäuschen des Pischa-Skiliftes (Bild DKM).
Kaum vorstellbar, dass in den 1970er und 80er Jahren pro Tag rund 4500 Wintersportler auf diesen sonnenverwöhnten Berg im Flüelatal pilgerten. Drei Skilifte lockten damals neben der Gondelbahn Skifahrer auf die Naturschneepisten, vor allem Familien. Ein vierter kam später noch dazu. Gegen die Jahrtausendwende dann blieben die Gäste weg. Aus zwei Gründen, wie uns Betriebsleiter Andreas Fluor später in seinem warmen Büro an der Talstation erzählt: «Das kleine Skigebiet war besonders bei Italienern für Tagesausflüge beliebt oder als Ausweichgebiet, wenn die Skigebiete Parsenn und Gotschna überfüllt waren.» Ein erster Einbruch erfolgte, als im Oberengadin die Pisten beschneit wurden, ein zweiter mit der Eröffnung des Vereinatunnels. «Von da an ging es mit der Pischa nur noch bergab.»
Bergab geht es nun auch bei uns – aber auf den Tourenskis. Der Schnee abseits der Piste ist hart und teilweise schon etwas ausgefahren. Nichts also mit einer jungfräulichen Fahrt durch den Tiefschnee. «Das ist ganz gut zum Einsteigen», versichert uns Walter von Ballmoos und erklärt, wie wir das Gewicht auf beiden Füssen halten müssen, damit nicht zu viel Gewicht auf dem Aussenski liegt und wir Gefahr laufen, auf den Rücken zu fallen. Gar nicht so einfach, wenn man sich die präparierten Pisten gewohnt ist.
Apropos präparierte Pisten. Die gab es auf der Pischa letztmals im Winter 2014/15. Damals schaltete man auf Wochenendbetrieb um und hoffte, so noch einigermassen rentabel arbeiten zu können. «Doch es hat nicht funktioniert», sagt Fluor. Also baute man einige Jahre später die Skilifte zurück. Nur einer steht noch bei der Bergstation – quasi als Relikt aus besseren Zeiten. Die Empörung über die Schliessung der Lifte war gross. Leserbriefe in der lokalen Zeitung forderten die Wiedereröffnung und die nötigen Investitionen durch die Bergbahngesellschaft. Es formierte sich ein Verein Pro Pischa, der inzwischen wieder aufgelöst wurde. Auch Bergführer von Ballmoos engagierte sich für das Pischa-Gebiet, weil er sah: «Leserbriefe alleine bewirken nichts, die Leute muss man letztlich auf den Berg bringen.» Also braucht es attraktive Erlebnisse. Der Davoser organisierte Telemark-Clubmeisterschaften oder die «FearNada», die für Telemark, Ski, Snowboard, Bike und andere Geräte offen war. Er arbeitete in Kommissionen mit und machte sich im Grossen Landrat Davos für eine Rega-Basis in der Talstation und ein Übungszentrum für alpine Rettung stark. Leider erfolglos.
Auf der Pischa kann man auch übernachten. Das Restaurant Hotel Pischa bietet einfache Zimmer an (Bild DKM).
Doch der «forgotten mountain» lässt sich nicht unterkriegen. Das naturbelassene Naherholungsgebiet, die stille Perle unter den Davoser Wintersportgebieten, hat sich in den letzten Jahren zu einem Berg für alternative Sportarten entwickelt. Freerider und Skitourer, Winterwanderer und Schneeschuhwanderer fühlen sich hier ebenso wohl wie Fatbiker, Airboarder und Schlittler. «Die Mehrfachnutzung klappt hier perfekt, niemand kommt sich in die Quere», freut sich Betriebsleiter Andreas Fluor. Immerhin verzeichne man nun an guten Tagen 500 bis 600 Gäste mit der Gondelbahn. «Jetzt schreiben wir eine schwarze Null.»
Auch bei der Pischa-Bergstation weht ein frischer Wind. Vor zwei Jahren haben drei junge Familien aus dem Unterland die Pacht des Restaurants mit dem Charme der 1960er Jahre übernommen. Sie bauten die einstigen Personalzimmer in gemütliche Hotelzimmer um, setzen auf regionale Produkte und wollen den Gästen die Schönheit des Berges zeigen. «Hier gibt es keinen Kommerz und Abriss», betont Aaron Noah Tischhauser, einer der neuen Pächter. Er kam als Airboarder der ersten Stunde vor vielen Jahren auf die Pischa und war begeistert vom Berg. Als er hörte, dass die Pacht frei wurde, wagte er mit Freunden das Experiment. «Zum Millionär wird man nicht mit unserem Konzept.» Sein grösster Lohn sei die Zeit mit seiner Familie, Freunden und den Gästen. Trotz Corona laufe es nicht schlecht, sagt Tischhauser.
Doch die Aufbruchstimmung könnte in vier Jahren schon wieder gestoppt werden. Dann nämlich läuft beim Bund die Betriebsbewilligung für die Gondelbahn aus. «Sie ist schon ein Oldtimer und stammt aus dem Jahr 1967», erklärt Fluor. Nun soll eine Studie aufzeigen, welche Möglichkeiten für die Zukunft bestehen. Abbruch, Neubau oder Teilsanierung? Fluor hofft auf eine Teilsanierung. Auch ihm liegt am Herzen, dass es weitergeht mit dem Berg, der noch Berg sein darf. «Für mich ist der Ort mit Jugenderinnerungen verbunden, mein Vater arbeitete schon bei den Bergbahnen», erzählt der Prättigauer, der neben seinem 50 %-Pensum als Betriebsleiter als Landwirt einen Hof mit Milchkühen und Jungvieh führt.
Die Pischa ist perfekt für Winterwanderungen und Schneeschuhtouren (Bild DKM).
«Hier oben schwebt man über den Bergen», schwärmt Andreas Fluor. Als wir tags zuvor auf einer Winterwanderung Richtung Pischagrat stapften, empfanden wir das genauso. Das fast 1000 Meter tiefer liegende Davos, der Wolfgangpass und das Prättigau liegen uns zu Füssen. Der Blick geht bis zu den Churfirsten und den Innerschweizer Gipfeln. Windgeschützte Holzbänke laden zum Innehalten ein, um die herrliche Ruhe und die märchenhafte Landschaft in vollen Zügen zu geniessen.
Inzwischen ist unser Schnupperkurs fast zu Ende. Die Wolken haben Oberhand gewonnen und es flöckelt bereits. Für eine kurze Pause geht’s zur Mäderbeiz für einen wärmenden Tee. Catherine und Otto Fontana betreiben seit 2016 die gemütliche Rundholzhütte mit der Terrasse rund 30 Gehminuten oberhalb der Pischa-Talstation. «Auch wenn bei schlechtem Wetter manchmal nur eine Handvoll Gäste kommen, halten wir das Restaurant offen», sagt Catherine Fontana. Sie hätten sich hier einen Traum erfüllt und möchten aktiv dazu beitragen, dass der Berg nicht vergessen geht. Deshalb ist ihre Beiz fast das ganze Jahr über offen. «Die Menschen brauchen solche Orte in der Natur – mehr denn je.»
Pischa Davos
Ab Dörfji im Flüelatal fährt von Weihnachten bis Ende März die Gondelbahn auf die Pischa (Betriebszeiten von 8.45 bis 16.30 Uhr). Von Davos Dorf (Bushaltestelle Seehofseeli) verkehrt der Pischa-Bus täglich bis zur Pischa-Talstation. Auf dem Gebiet der Pischa kann man in der Mäderbeiz oder im Restaurant-Hotel Pischa bei der Bergstation einkehren. Das Gebiet eignet sich besonders gut zum Winterwandern, für Skitouren (Schnupperkurse jeweils am Dienstag- und Donnerstagmorgen), Schlitteln, Airboarden (Einführungskurse jeweils am Freitagnachmittag) oder Fatbiken (Einführungskurse jeweils Samstag- und Montagmorgen). Weitere Infos unter www.davos.ch/pischa