Wo sonst kann man die Stille besser finden als in der Einsamkeit des hohen Nordens! Also nichts wie hin....
Überall Schneeflocken, so weich wie Watte und so leise wie ein Atemhauch. Was für ein Empfang am Flughafen in Tromsø! Aber es sind Abertausende von Schneeflocken! Und von meditativer Stille ist da nichts zu spüren, denn sie haben sich gerade in einen veritablen Wintersturm verwandelt. Es pfeift und rauscht um die Ohren. Dabei hatte ich doch die Stille gesucht!
Wann immer ich an diese denke, ploppt in meinem Kopf das gleiche Bild auf: ein einsames rotes Holzhäuschen irgendwo im hohen Norden, idealerweise direkt am Meer. Die Landschaft frisch verschneit und vor allem: weit und breit kein Touristenrummel. Einem solchen Sehnsuchtsort bin ich tatsächlich auf der Spur: am Malangenfjord rund 70 Kilometer südlich der nordnorwegischen Stadt Tromsø. Die perfekte Destination also, um in der endlosen Stille abzutauchen. Oder sie zumindest zu suchen. Denn: Gibt es die Stille wirklich? Und falls ja, wie hört sie sich an? In welchen Schattierungen? Vielleicht sogar 50 shades of silence? Und: Wie gehe ich damit um?
Klein, aber fein: Unsere Unterkunft im Malangen-Resort.
Natürlich ist es eine ziemlich romantische und wohl auch idealisierte Vorstellung, im Holzhäuschen auf Knopfdruck die Stille zu finden. Schliesslich muss man da erst mal hinkommen. Die Strasse ist weiss, der Schnee daneben türmt sich fast zwei Meter hoch, ebenso weiss, und vom Himmel kommt noch mehr davon. Wir kurven vorsichtig vom Flughafen auf die Insel Kvaløya bis Eidkjosen und kaufen dort ein, was man so für eine Woche zum Überleben braucht. Weiter geht’s durch die weisse Landschaft. Es rumpelt noch einige Male, weil man die Bodenwellen nicht sieht. Zum Glück tauchen immer wieder vereinzelte Häuser am Strassenrand auf. Wir haben uns also noch nicht verfahren. Nach eineinhalb Stunden haben wir es geschafft und sind in Mestervik am Malangenfjord. Unser gemietetes Holzhäuschen gehört jedoch zu einem grösseren Resort, dem auch noch ein Hotel angeschlossen ist, was uns im ersten Moment ziemlich erschreckt. Wir sind da ja gar nicht alleine!
Doch alles halb so schlimm. Schon bald sitzen wir in unserem Paradieschen auf Zeit, lassen den Blick einfach über die Weite des Fjordes schweifen. Erst das glatte Wasser, das sich nur hie und da leicht kräuselt, dahinter die Bergkette, die fast an den Niesen oder den Mönch erinnern. Und sonst einfach nichts! Ja, genau so hatte ich mir das vorgestellt. Nur ein paar gute Bücher im Gepäck dürfen mich davon ablenken. Da kommt es sogar ganz gelegen, dass die Wetterprognosen nichts Gutes versprechen. Schon eher störend ist da der dauernde Nordlicht-Alarm per SMS. Schliesslich ist der Himmel ohnehin nicht klar und der Hinweis, dass schwaches Polarlicht tief am Horizont sichtbar sei, nur unnötiges Honig-um-den-Mund-schmieren.
Auch in der ruhigen Landschaft ist es nie ganz still.
Irgendwann merke ich, dass Stille nie komplett still ist. Auch wenn ich glaubte, dass sie die Leere zwischen Geräuschen ist. Da ist doch stets ein leichtes Rauschen und Piepen in den Ohren. Beruhigend, dass ich damit nicht ganz falsch liege. Gemäss einer Studie ist Stille tatsächlich nicht einfach die Abwesenheit eines Geräusches. Wir Menschen nehmen sie einfach auf eine besondere Art wahr. Da fragt sich natürlich, wie?
Vielleicht wäre es dazu nicht schlecht, mal das Häuschen zu verlassen, wo man auch bei absoluter Ruhe halt doch immer irgendwelche Geräusche hört – und sei es nur die des Kühlschranks oder der Wasserleitungen. Also geht’s am nächsten Tag in die Wildnis um Malangen. Eine Winterwanderung führt erst vorbei an der Huskyfarm, wo man mit neugierigem Gebell begrüsst wird. Schon eine Kurve weiter beim Nikkavatnet finden wir endlich, was wir suchen: Totenstille. Zumindest, wenn wir mucksmäuschenstillstehen. Denn sonst produzieren wir mit unserem Stapfen durch den tiefen Schnee einen ziemlichen Lärm, wie uns vorkommt.
Unendlich weit, unendlich still: die Landschaft um den Malangenfjord.
Wie stark doch frischer Schnee wie ein Dämpfer wirkt und Schallwellen verschluckt, merken wir erst, als uns plötzlich ein klingelnder Hundschlitten überholen will. Er ist keine 10 Meter mehr von uns entfernt und wir können uns nur noch mit einem Sprung auf die Seite retten. Später erfahre ich, dass Geräusche von frischem Pulverschnee kaum reflektiert werden. Verantwortlich sollen die vielen Lufteinschlüsse sein, die sich zwischen den einzelnen Eiskristallen befinden und so den Schall wie ein flauschiger Teppich absorbieren.
Und dann beginnt es auch schon wieder zu schneien. Leise rieselt der Schnee! Ja, leise vielleicht schon, aber auf keinen Fall lautlos. Schliesslich sollen sogar Schneeflocken ein Geräusch von 10 Dezibel auslösen. Und trotzdem fühlt man sich, als wäre man gerade in eine Raumkapsel gestiegen oder hätte Watte in den Ohren.
Die Begleitung langweilt sich allmählich auf der Suche nach der Stille und will etwas Action. Ob das tatsächlich beim Fischen möglich ist? Einen Versuch ist es wert, und so stellt er sich mit der Angelrute ans Wasser – und wartet. Auch so kann man die Stille finden, findet er. Erfreulich, wenn dazwischen etwas an der Angel zappelt.
Ich habe währenddessen wieder mein Plätzchen am Fenster aufgesucht und frage mich gerade, was Stille von Ruhe unterscheidet. Irgendwo lese ich, dass Stille die Abwesenheit nahezu aller Geräusche sei – und Ruhe die Abwesenheit störender Geräusche. Also liegt das schon sehr nahe beisammen und ist dann letztlich eine ziemlich individuelle Sache. Was mich an Geräuschen stört, muss den Nächsten nicht unbedingt auch stören.
Romantische Abendstimmung.
Es sei denn, es sind solche, die einem einfach ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Mein Blick auf den Fjord ist gerade so entspannt, dass schon die kurzen Bewegungen auf dem Wasser irritieren. Was waren das eben für schwarze Dreiecke, die da plötzlich auftauchten? Weg ist da die Stille – oder eher Ruhe? – obwohl ich kein Geräusch höre. Es sind wohl Delphine, die übermütig aus dem Wasser springen.
Wider Erwarten wird das Wetter mit jedem Tag besser. Das motiviert auch, die Stille in der Nacht zu suchen. Nochmal ein ganz anderer Aspekt. Nur, dass die Kälte das Verweilen nicht unbedingt so angenehm macht. Immerhin lockt uns die Nordlichtprognose «ganze Nacht Aktivität sehr hoch» aus der warmen Stube. In dieser Ecke am Malangenfjord tendiert zum Glück die Lichtverschmutzung gegen Null. Und dann, als hätten die Götter doch noch ein Einsehen, schwingt sich nach geduldigem Warten ein erster Streifen über den Horizont, steigt steil auf, pulsiert, driftet weg, erscheint wieder und verschwindet im Nichts. Gebannt bleibt unser Blick am Himmel hängen. Und schon ist es wieder da, flattert weiter – und ist wieder weg: das Nordlicht! Alles in vollkommener Stille!
Unglaublich schön und beeindruckend: die Nordlichter am Himmel über dem Malangenfjord.
Anreise
Direktflüge mit Edelweiss Air mehrmals wöchentlich bis Ende März sowie Juni bis September in 3,5 Stunden oder täglich mit SAS via Oslo in ca. 5 Stunden 15 Minuten, www.flyedelweiss.com, www.flysas.com
Übernachten
Malangen-Resort, Package mit Flug und Mietauto ab Fr. 2280.- pro Person über www.kontiki.ch